Sozialdemokrat des Monats September

Veröffentlicht am 31.08.2024 in Geschichte

Franz Künstler geb. 13. Mai 1888 in Berlin, gest. 10. September 1942 in Berlin.

Er übernahm 1923 nicht nur die, für sich allein genommen, schon schwierige Aufgabe, die vielen örtlichen SPD-Gruppierungen wie Schöneberg, Charlottenburg, Zehlendorf etc. in den nun zu einem Groß-Berlin zusammengeführten Landesbezirk zur schlagkräftigen Partei zu formen. Die in den vormals selbständigen Orten agierenden Partei-Kreise stritten - wie heute - gern auch gegeneinander um Sitze und Vorstandsposten. Zumindest zu Anfang ging es sogar noch - anders als heute - um politische Positionen, mussten doch die während des Weltkriegs zerstrittenen Fraktionen der USPD und der MSPD wieder zusammengeführt werden.

Franz Künstler kam von der USPD. Er hatte sich als ausgebildeter Maschinenschlosser 1906 dem Deutschen Metallarbeiter-Verband angeschlossen und trat kurz darauf (1907) auch in die SPD ein. Es waren die Jahre heftiger innerparteilichen Auseinandersetzungen vor allem um die Rolle der Gewerkschaften bei der Durchsetzung (parti-)politischer Ziele. Die „Massenstreikdebatte“, ob man also die Möglichkeit des Massenstreiks nutzen sollte, um etwa das Dreiklassenwahlrecht abzuschaffen, hatte den Parteitag 1906 bestimmt und die Partei fast gespalten. Inspiriert durch die Niederlage des Zarenregimes im russisch-japanischen Krieg und die darauf folgende, allerdings gescheiterte Russische Revolution von 1905, sollte der internationalen Arbeiterbewegung die vorrangige Aufgabe zukommen, jeglichen Krieg, bei dem es ohnehin nur um zusätzliche Pfründe für die internationale agierenden Kapitalisten gehen konnte, zu verhindern. Falls es dennoch zu einem solchen kommen sollte, sei der Krieg, so hatten es u.a. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1907 auf dem „Internationalen Sozialistenkongress“ in Stuttgart gefordert, zu nutzen, die herrschenden politischen Systeme zu stürzen.

Beiden Positionen, die allerdings nie eine Mehrheit in der SPD fanden, blieb Künstler verbunden. Er trat denn auch nach Kriegsbeginn 1914 energisch gegen die „Burgfriedenspolitik“ der SPD-Reichstagsfraktion auf und beteiligte sich u.a. an der Antikriegsdemonstration am 1. Mai 1916, die zur Verhaftung Karl Liebknechts führte und dazu, dass Künstler unmittelbar danach zum Kriegsdienst eingezogen wurde.

Folgerichtig trat er nach Kriegsende der USPD bei. Im November 1918 wurde er Mitglied im Soldatenrat, seine Armeegruppierung, nahm am Frontsoldatenkongress in Bad Ems (1. Dezember 1918) teil und war Delegierter auf dem Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin. Der Rätekongress lehnte die Bildung einer Räterepublik nach dem Vorbild der Oktoberrevolution in Russland 1917 ab. Er befürwortete die Bildung einer parlamentarischen Demokratie und die Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung.

Künstler wurde bei den ersten Wahlen im Januar 1919 Stadtverordneter in Neukölln und zum stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher gewählt. Gleichzeitig wurde er Mitglied des Parteivorstands der USPD. Von 1920 bis 1933 war er mit einer kurzen Unterbrechung zwischen Mai und Dezember 1924 Mitglied des Reichstags. 1922 trat er mit der Mehrheit der USPD der SPD bei und wurde Beisitzer im neuen Parteivorstand der (V)SPD. Auf dem Parteitag 1924 wurde er indes nicht wiedergewählt.

Denn Künstler blieb ein „Linker“. Also solcher wurde er im Februar 1923 zunächst 2.Vorsitzender des SPD-Bezirks Groß-Berlin. Am 21. Oktober wurde er dann Vorsitzender und blieb es bis zum Verbot der SPD im Juni 1933. Während dieser Zeit stieg, im Unterschied zu vielen anderen Großstädten, die Mitgliederzahl in Berlin ständig an. Er bekämpfte die Zusammenarbeit der Reichswehr mit der Sowjetunion: 1927 veröffentlichte er ein Interview mit zwei Arbeitern, die in der von der deutschen Industrie geförderten Giftgasfabrik in Trotzk gearbeitet hatte, im „Vorwärts“. Im Reichstag wandte er sich gegen die Tolerierung der Brüningschen Notverordnungspolitik durch die Fraktion. Im Juni1932 befürwortete er wie der gesamte Fraktionsvorstand, nur gerichtlich gegen die verfassungswidrige Absetzung der preußischen Regierung durch Reichskanzler von Papen („Preußenschlag“) vorzugehen und nicht, wie 1920 beim Kapp-Putsch, den Generalstreik zu wagen. Seine Bemühungen im Juli 1932, mit der KPD zumindest in Berlin zu einem „Burgfrieden“ zu kommen, scheiterten an der Ablehnung durch Ulbricht. Nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 wollte nun Ulbricht doch kooperieren. Doch da war es zu spät. Die Ernsthaftigkeit dieses KPD-Angebots war wenig glaubwürdig.

Nach dem Verbot der SPD am 22. Juni 1933 wurde Künstler, der, nachdem die Mehrzahl der führenden Parteimitglieder spätestens nach der Verabschiedung der Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 nach Prag oder ins Saarland hatten entkommen können, Mitglied im neuen, in Deutschland verbliebenen SPD-Vorstand geworden war, am 24. Juni1933 verhaftet und in mehreren Gefängnissen und Konzentrationslagern misshandelt. Mit einem schweren Herzleiden wurde er im September 1934 entlassen. Er fand Arbeit als Maschinenschlosser in Neukölln und hielt Kontakt zu ehemaligen Genossen. Deshalb wurde er mehrfach kurzzeitig festgenommen, was seiner Gesundheit sicherlich nicht zuträglich war. Mit Kriegsbeginn im September 1939 musste er für eine Dienststelle des Heeres in Berlin zwangsverpflichtet als Lastenträger arbeiten. Am 10. September 1942 brach er auf offener Straße tot zusammen. Seine Beerdigung auf dem Friedhof Baumschulenweg wurde zu einer letzten Massendemonstration gegen das NS-Regime.

Franz Künstler erhielt in West-Berlin ein Ehrengrab auf dem Friedhof Baumschulenweg, in Ostberlin eine Grabplatte („Symbolgrab“) auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde im Rahmen der „Gedenkstätte der Sozialisten“.