Sozialdemokrat des Monats Juli

Veröffentlicht am 28.06.2024 in Geschichte

Wolfgang Roth: Vom Juso-Chef zum Banker in Luxemburg

Ein schwäbischer Berliner

Wolfgang Roth wurde am 26. Januar 1941 in Schwäbisch-Hall geboren und machte 1961 in Aalen Abitur. Nach zwei Semestern seines Volkswirtschaftsstudiums an der Uni Tübingen ging er 1962 an die FU Berlin und trat dort nicht nur der SPD, sondern auch dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB), der nach dem Ausschluss des SDS soeben gegründeten Studentenorganisation - zumindest bis 1969 - parteikonformer Sozialdemokraten. Er machte rasch Karriere: Bereits 1964/65 wurde er zum ASTA-Vorsitzenden an der FU Berlin gewählt. Ein Jahr später wurde er Vorsitzender des Gesamtdeutschen Ausschusses des Verbands Deutscher Studentenschaften und initiierte, im Gefolge der Brandt/Bahrschen Ost-Politik die Aufnahme von Gesprächen mit der FDJ. Zunächst erfolglos.

Nach dem Examen 1968 arbeitete er zunächst beim Deutschen Städtetag und bei der Neuen Heimat. Gleichzeitig war er von 1969 bis 1972 zunächst stellvertretender, von 1972 bis 1974 Bundes-Vorsitzender der Jungsozialisten. In diese Funktion verschreckte er die Alt-Genossinnen und Alt-Genossen durch ein ausführliches Interview im „Playboy“ 3/1973.

Von 1973 bis 1979 und erneut von 1982 bis 1991 war er Mitglied des Parteivorstandes.

1976 wechselte Roth vollzeitlich in die Politik. Er wurde erstmals über die Landesliste der SPD Baden-Württemberg in den Deutschen Bundestag gewählt. Dort war er wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD und von 1981 bis 1991 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Im darauffolgenden Jahr wurde er zu einem der acht Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank. In diesem Amt folgte ihm von 2006 - 2011 Matthias Kollatz nach.

Vom Juso-Chef in den frühen 70er Jahren bis zum Banker in Luxemburg - das war wirklich ein weiter Weg, der ihn erstaunlich wenig verändert hat. Er blieb ein guter Freund, zuverlässig, hilfsbereit, fürsorglich nicht nur innerhalb der Familie. Wer sich hilfesuchend an ihn wandte, konnte mit tatkräftiger Unterstützung rechnen. Das waren allerdings Tugenden, die er - wenn man ihn darauf ansprach - gerne hinter Sarkasmus verbarg.

Welchem „Flügel“ der SPD er angehörte, war schwer zu sagen. Ein Bonner Journalist hat über ihn geschrieben, er sei „gewiss ein linker Sozialdemokrat, aber ein moderater, mit dem man reden konnte“. Erstaunlich früh, früher als viele andere Politiker*innen seiner und anderer Parteien, setzte er sich mit ökologischen Themen auseinander. Als Pragmatiker, der er war, sah er hier auch ökonomisch einen Wachstumsmarkt und keinen Gegensatz.

Zweifellos war Wolfgang Roth ein Pragmatiker. Man muss die Realität sehen und dann das Beste daraus machen, war sein Credo. Von Wunschdenken und Höhenflügen hielt der Pragmatiker nicht viel, schon gar nicht in der Politik oder der Ökonomie.

Natürlich fand er nicht alles gut, was seine SPD im Laufe der vielen Jahrzehnte, in denen er aktiv war, vertrat. Er war vor allem bei ökonomischen Themen eher auf der Seite von Helmut Schmidt als bei den linken Parteifreunden. Aber er war immer ein loyaler Genosse. Im Zweifel biss er eher die Zähne zusammen, selbst in seinen „wilden Zeiten“ als Juso und später als Juso-Vorsitzender von 1972 bis 1974.

Über diese Juso-Jahre hat er später voll Stolz geschrieben: „Eine Öffnung zur Achtundsechziger-Bewegung war angesagt. Niemals zuvor und später gab es so viele Parteieintritte von jungen Leuten. Aber: Die Behandlung durch die Vorgänger und vieler älterer Sozialdemokraten war nicht zimperlich.“

Wolfgang Roth starb vor drei Jahren, am 4. Juli 2021, mit 80 Jahren in Bonn.