Vor 175 Jahren: 1848er Revolution – Das Frühlingsfest der Arbeiterbewegung

Veröffentlicht am 18.03.2023 in Geschichte

Die 1848er Revolution in Berlin war ein Aufstand der Handwerksgesellen und Industriearbeiter und Arbeiterinnen sowie einer kleinen Zahl von Schülern und Studenten. Weder an den Aufständischen noch an den Erschossenen waren Bürger, geschweige denn Bürgerinnen in nennenswerter Zahl beteiligt. Die Forderungen an die Hohenzollern hatten in den „Tiergarten-Versammlungen“ noch Angehörige aller sozialen Gruppen am 7. März 1848 formuliert:

  1. Unbedingte Pressefreiheit.
  2. Vollständige Redefreiheit.
  3. sofortige und vollständige Amnestie aller wegen politischer und Preßvergehen Verurteilten und Verfolgten.
  4. Freies Versammlungs- und Vereinigungsrecht.
  5. Gleiche politische Berechtigung aller, ohne Rücksicht auf religiöses Bekenntnis und Besitz.
  6. Geschworenengerichte und Unabhängigkeit des Richterstandes.
  7. Verminderung des stehenden Heeres und Volksbewaffnung mit freier Wahl der Führer.
  8. Allgemeine deutsche Volksvertretung.
  9. Schleunige Einberufung des Vereinigten Landtages

Als am 18. März eine große Volksmenge dem König dafür danken wollte, dass er „Pressfreiheit“ gewähren wollte, erschien dies der Militärfraktion wohl zu gefährlich und „es lösten sich zwei Schüsse“ von Soldaten der Schlosswache. Daraufhin kam es zum Aufstand und zum Barrikadenbau. Am 19. März waren über 200 Demonstranten und 50 Soldaten tot.
 

Mit der Aufbahrung der toten Demonstranten beginnt Freiligraths Gedicht.
Die Hohenzollern kassierten die versprochenen Freiheiten im Laufe des Jahres 1848 wieder ein, unterstützt von einer von Nationalismus trunkenen und die Arbeiterbewegung fürchtenden rheinischen Bourgoisie.
„Die Arbeiterklasse hat ein geschichtliches Recht, diesen 18. März als ihre Jugendweihe, als ihr Frühlingsfest zu begehen,“ heißt es in der vom „Vorwärts“ 1905 herausgegebenen zwei-bändigen „Die Hohenzollern-Legende“. Es gibt in der Geschichte der Hohenzollern keine Phase, während der sie nicht anti-demokratischen und anti-republikanischen Bewegungen, zuletzt dem Nationalsozialismus und seinen Vorfeldorganisationen („Stahlhelm“ etc.), Vorschub geleistet haben.

Erläuterungen zu Ferdinand Freiligrath:
Die Todten an die Lebenden
Angestoßen durch die „Februarrevolution“ 1848 in Paris kam es auch im März in Berlin zu Demonstrationen für Pressefreiheit und Demokratie. Die Auseinandersetzungen eskalierten am 13. März und endeten am 18./19. März mit dem Tod von über 250 Demonstranten. Die Toten wurden zum Schlossplatz getragen und König Friedrich Wilhelm IV aufgefordert, vom Balkon herunter zu kommen und sich die Verletzungen der Getöteten anzusehen und ihnen seine Achtung zu erweisen:

  • „daß jeder qualverzogene Mund, daß jede rothe Wunde ihn schrecke noch, ihn ängste noch in seiner letzten Stunde“.
  • „So habt ihr triumphierend uns in unsere Gruft getragen“

Die Beerdigung von 250 Getöteten fand am 22. März 1848 auf dem neu geschaffenen „Friedhof der Märzgefallenen“ in Friedrichshain statt. Es handelte sich fast ausschließlich um Handwerksgesellen, Industriearbeiter und Schüler, unter ihnen elf Frauen. Die 1848er Revolution war keine „bürgerliche“ Revolution, sondern ein erstes Aufbegehren der Arbeiterbewegung. So wurde der Friedhof schon bald nach der Gründung der Sozialdemokratie (1863), die in den „1848ern“ ihre legitimen Vorfahren sahen, zum jährlichen Treffpunkt, bis in die jüngste Gegenwart.

Als Erfolg konnten die Revolutionäre verzeichnen, dass der König Presse- und Versammlungsfreiheit gewährte und ein neues Kabinett gebildet wurde. Vor allem aber musste das Militär die Stadt verlassen und der für den Gewaltexzess verantwortlich gemachte Kronprinz Wilhelm („Kartätschenprinz“), der spätere Deutsche Kaiser Wilhelm I, ging zu den Verwandten nach London. Allerdings nur für – zu – kurze Zeit.

  • „Weh' euch, wir haben uns getäuscht! Vier Monden erst vergangen“

Doch die Reaktion schlief nicht. Zwar hatte der König auf Grund des Drucks der Revolutionäre nachgegeben. Doch die Macht beanspruchte das rheinische Großbürgertum, vertreten in den Regierungsmitgliedern Campenhausen und Hansemann. Die Politik blieb national!

  • „der Aberwitz des Dänenkriegs“

Im Jahre 1848 brach ein bürgerkriegsähnlicher Konflikt in Schleswig-Holstein aus über die Frage, ob dieser Teil zum Deutschen Bund (Holstein) oder weiterhin zu Dänemark (Schleswig) gehöre. Die deutschen Truppen erlitten eine deutliche Niederlage an den „Düppeler Schanzen“. 1851 siegte Dänemark.

  • „die letzte Polenschande“

Niederschlagung der polnischen Nationalbewegung in der Provinz Posen durch preußisches Militär am 9. Mai 1848. Die Polen hatten, anders als 1830 beim Aufstand gegen das Zarenreich, wenige Sympathisanten unter den Revolutionären.

  • „Die Tücke, die den Zeughaussturm zu einem Diebszug machte“

Da zur Berliner „Bürgerwehr“, die die Errungenschaften des März verteidigen sollte,  nur gehören konnte, wer sich die Waffen selbst kaufte, also das besitzende Bürgertum, gehörten ihr nur wenige derjenigen an, die am 18. und 19. März die Revolution erkämpft hatten. Als deutlich wurde, dass sie ihre Forderungen nicht erfüllt bekommen würden, versuchten sich Aufständische am 14. Juni durch den Sturm auf das von der Bürgerwehr beschützte Zeughaus selbst zu bewaffnen. Die Aufständischen wurden als ein „Diebeszug“ „betrunkener Jugendlicher“ (Stephan Born) diffamiert und von der „Bürgerwehr“, den „eigenen Leuten“ abgewehrt.

Für den Misserfolg der Revolution symbolisch war die Rückkehr des „Kartätschenprinz“im Mai 1848: Er habe sich zur konstitutionellen Monarchie bekannt. Ende Juli, als Freiligrath dieses Gedicht veröffentlichte, waren die alten Machtverhältnisse wieder hergestellt.

Freiligrath trug das Gedicht am 1. August im Demokratischen Volksklub in Düsseldorf „unter stürmischen Beifallskundgebungen vor. Rasch erschien es in 9.000 Exemplaren. Doch am 28. August wurde Freiligrath unter dem Vorwurf, zum Putsch aufgerufen zu haben, verhaftet. Vor Gericht erklärte er am 3. Oktober, dass er „in poetischen Bildern zu einem moralischen Kampf, nicht zu physischen Krieg aufgerufen“ habe. Er wurde freigesprochen.
Doch am 19. Mai 1949 erschien bereits sein „Abschiedswort der Neuen Rheinischen Zeitung (Chefredakteur: Karl Marx.)

Die Hohenzollern verhinderten 70 weitere Jahre Demokratie und soziale Gerechtigkeit.

 

Ferdinand Freiligrath
(Originaltext)

Die Todten an die Lebenden

Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So habt ihr uns auf blut’gem Brett hoch in die Luft gehalten!
Hoch in die Luft mit wildem Schrei, daß unsre Schmerzgeberde
Dem, der zu tödten uns befahl, ein Fluch auf ewig werde!
Daß er sie sehe Tag und Nacht, im Wachen und im Traume –
Im Oeffnen seines Bibelbuchs wie im Champagnerschaume!
Daß wie ein Brandmal sie sich tief in seine Seele brenne:
Daß nirgendwo und nimmermehr er vor ihr fliehen könne!
Daß jeder qualverzogne Mund, daß jede rothe Wunde
Ihn schrecke noch, ihn ängste noch in seiner letzten Stunde!
Daß jedes Schluchzen um uns her dem Sterbenden noch schalle,
Daß jede todte Faust sich noch nach seinem Haupte balle –
Mög’ er das Haupt nun auf ein Bett, wie andre Leute pflegen,
Mög’ er es auf ein Blutgerüst zum letzten Athmen legen!
So war’s! Die Kugel in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So habt ihr uns auf schwankem Brett auf zum Altan gehalten!
„Herunter!“ – und er kam gewankt – gewankt an unser Bette;
„Hut ab!“ – er zog – er neigte sich! (so sank zur Marionette,
Der erst ein Komödiante war!) – bleich stand er und beklommen!
Das Heer indeß verließ die Stadt, die sterbend wir genommen,
Dann „Jesus meine Zuversicht!“, wie ihr’s im Buch könnt lesen:
Ein „Eisen meine Zuversicht!“ wär’ paßlicher gewesen!

Das war den Morgen auf die Nacht, in der man uns erschlagen;
So habt ihr triumphirend uns in unsre Gruft getragen!
Und wir – wohl war der Schädel uns zerschossen und zerhauen,
Doch lag des Sieges froher Stolz auf unsern grimmen Brauen.
Wir dachten: hoch zwar ist der Preis, doch ächt auch ist die Waare!
Und legten uns in Frieden drum zurecht auf unsrer Bahre.

Weh’ euch, wir haben uns getäuscht! Vier Monden erst vergangen,
Und Alles feig durch euch verscherzt, was trotzig wir errangen!
Was unser Tod euch zugewandt, verlottert und verloren –
O, Alles, Alles hörten wir mit leisen Geisterohren!
Wie Wellen braust’ an uns heran, was sich begab im Lande:
Der Aberwitz des Dänenkriegs, die letzte Polenschande;
Das rüde Toben der Vendée in stockigen Provinzen;
Der Soldateska Wiederkehr, die Wiederkehr des Prinzen;
Die Schmach zu Mainz, die Schmach zu Trier; das Hänseln, das Entwaffnen
Allüberall der Bürgerwehr, der eben erst geschaffnen;
Die Tücke, die den Zeughaussturm zu einem Diebszug machte,
Die selber uns, die selbst das Grab noch zu begeifern dachte;
So weit es Barrikaden gab, der Druck auf Schrift und Rede;
Mit der Versammlung freiem Recht die täglich frechre Fehde;
Der Kerkerthore dumpf Geknarr im Norden und im Süden;
Für Jeden, der zum Volke steht, das alte Kettenschmieden;
Der Bund mit dem Kosackenthum; das Brechen jedes Stabes,
Ach, über euch, die werth ihr seid des lorbeerreichsten Grabes:
Ihr von des Zukunftdranges Sturm am weitesten Getragnen!
Ihr – Juni-Kämpfer von Paris! Ihr siegenden Geschlagnen!
Dann der Verrath, hier und am Main im Taglohn unterhalten –
O Volk, und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten?
Sag’ an, birgt es nicht auch den Krieg? den Krieg herausgeschüttelt!
Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit Allem, was dich büttelt!
Laß deinen Ruf: „die Republik!“ die Glocken überdröhnen,
Die diesem allerneuesten Johannesschwindel tönen!

Umsonst! es thäte Noth, daß ihr uns aus der Erde grübet,
Uns wiederum auf blut’gem Brett hoch in die Luft erhübet!
Nicht, jenem abgethanen Mann, wie damals, uns zu zeigen –
Nein, zu den Zelten, auf den Markt, in’s Land mit uns zu steigen!
Hinaus in’s Land, soweit es reicht! Und dann die Insurgenten
Auf ihren Bahren hingestellt in beiden Parlamenten!
O ernste Schau! Da lägen wir, im Haupthaar Erd’ und Gräser,
Das Antlitz fleckig, halbverwest – die rechten Reichsverweser!
Da lägen wir und sagten aus: Eh’ wir verfaulen konnten,
Ist eure Freiheit schon verfault, ihr trefflichen Archonten!
Schon fiel das Korn, das keimend stand, als wir im Märze starben:
Der Freiheit Märzsaat ward gemäht noch vor den andern Garben!
Ein Mohn im Felde hier und dort entging der Sense Hieben –
O, wär’ der Grimm, der rothe Grimm im Lande so geblieben!
Und doch, er blieb! Es ist ein Trost im Schelten uns gekommen:
Zu viel schon hattet ihr erreicht, zu viel ward euch genommen!
Zu viel des Hohns, zu viel der Schmach wird täglich euch geboten:
Euch muß der Grimm geblieben sein – o, glaubt es uns, den Todten!
Er blieb euch! ja, und er erwacht! er wird und muß erwachen!
Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!
Er wartet nur des Augenblicks, dann springt er auf allmächtig;
Gehobnen Armes, weh’nden Haars dasteht er wild und prächtig!
Die rost’ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen;
Die rothe Fahne läßt er wehn hoch auf den Barrikaden!
Sie fliegt voran der Bürgerwehr, sie fliegt voran dem Heere –
Die Throne gehn in Flammen auf, die Fürsten fliehn zum Meere!
Die Adler fliehn, die Löwen fliehn; die Klauen und die Zähne! –
Und seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!

Indessen, bis die Stunde schlägt, hat dieses unser Grollen
Euch, die ihr vieles schon versäumt, das Herz ergreifen wollen!
O, steht gerüstet, seid bereit! o, schaffet, daß die Erde,
Darin wir liegen strack und starr, ganz eine freie werde!
Daß fürder der Gedanke nicht uns stören kann im Schlafen:
Sie waren frei: doch wieder jetzt – und ewig! – sind sie Sklaven!

Düsseldorf, Juli 1848.