Die Hohenzollern und die Nazis. War da was?

Veröffentlicht am 02.03.2023 in Geschichte

Vorbemerkung:

Am 7. März 2023 erschienen Mitteilungen des Hauses Hohenzollern in der Presse, der „Chef des Hauses“ Georg Friedrich Prinz von Preußen habe zwei Klagen auf Rückerstattung ehemaligen Vermögens zurückgezogen. Es ging dabei u.a. um die Schlösser Rheinsberg und Cecilienhof sowie um ca. 4000 von insgesamt etwa 10.000 strittigen Kunstwerken, Möbeln etc. Der Streit ist also noch nicht beendet. Es hat sich nur die Streitsumme etwas verringert.

Rezension

Christoph Ehmann, erschienen in Politisches Lernen 1-2/2022, Seite 76 ff 
Berlin: Propyläen Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN: 9783549100295, 752 Seiten, 35,00 Euro

Stefan Malinowski (2021):

Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration.

 

Die im Folgenden angeführten, den Lesefluss zuweilen hindernden Quellenverweise und Zitatenbelege sind notwendig, zum Selbstschutz und zum Schutz der Zeitschrift. Denn die Auseinandersetzung des „Chefs des Hauses Hohenzollern“, mit bürgerlichem Namen Georg Friedrich Prinz von Preußen, bzw. seiner Rechtsanwälte mit der Vergangenheit, insbesondere mit der Frage, ob jemand aus der ehemaligen Kaiserfamilie „dem nationalsozialistischen … System erheblichen Vorschub geleistet hat“, eine im Kern geschichts- und sozialwissenschaftliche Frage, wird seit Jahren in hohem Maße gerichtlich geführt: „Allein 120 Fälle gibt der Prinz selbst zu“ - Abmahnungen, Unterlassungsklagen etc. (Süddeutsche Zeitung, SZ, vom 10.12.2021). Dabei geht es nicht um juristische Urteile über geschichtliche Fakten, also um eine durch Gerichte neu zu schreibende Vergangenheit. Das sei schon deshalb nicht der Fall, weil, wie „der Prinzenanwalt Hennig betont, […] keine wissenschaftliche Arbeit selbst angegriffen worden (sei), sondern Beiträge in Massenmedien.“ (SZ, ebd.)

Stefan Malinowski, Autor des im November 2021 bereits in 4. Auflage erschienenen Buches „Die Hohenzollern und die Nazis“, berichtet in einem Interview mit der SZ vom10.12.2021, dass „einige tausend E-mails zwischen ihm und seinem Anwalt Marcellus Puhlemann hin und her“ gegangen seien. Für die Finanzierung der Gerichtskosten habe er seit 2015 „bis heute erhebliche fünfstellige Beiträge […] und mindestens sechs Monate Lebenszeit, eher ein Jahr “ (ebd.) investiert.

Drei Tage später, am 13.12.2021 konnte die Süddeutsche Zeitung dann eine Überraschung vermelden: Das Gericht, das „in mehr als 80 Verfahren meist zugunsten der Hohenzollern geurteilt hatte“, hatte nun zweimal gegen das früher regierende Haus entschieden.

Um einigermaßen die Übersicht über diese Rechtsstreitigkeiten zu behalten, schaltete im Juni 2021 die Heinrich-Heine Universität Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historikerverband und unter Leitung der Staatsrechtlerin Sophie Schönberger das „Hohenzollern-Klage-Wiki“ frei, eine Webseite, die die juristischen Klagen versammelt, die im Rahmen der gegenwärtigen Kontroverse von den Hohenzollern angestrengt wurden (vgl.wiki.hhu.de/display/HV/Hohenzollern-Klage-Wiki).

Warum diese Prozesslawine und warum gerade jetzt? Ein notwendiger Rückblick.

Das Prozessieren des deutschen Adels, nicht nur der Hohenzollern, um die ihnen wie auch immer zugefallenen Besitzungen hat eine lange Tradition. Anders als das durch Warenproduktion und Handel erworbene Vermögen der zumeist städtischen Bourgeoisie bestand das den „einstmals regierenden Häusern“ zugerechnete Eigentum vorrangig aus Grund und Boden, z.B. durch Kriege oder ähnliche Aktionen wie die polnischen Teilungen erworben, deren Bearbeiter abgabepflichtig waren. Von diesen „Staatsdomänen“ wurden später Teile abgetrennt, die den Mitgliedern der „regierenden Häuser“, soweit sie Regierungsaufgaben, zumeist Repräsentationsaufgaben, übernommen hatten, zustanden. Die „Staatsdomänen“ wie auch die letztgenannten Besitzungen, später „Fideikommisse“ genannt, wurden von den jeweiligen „Chefs“ allein verwaltet. Folgerichtig waren diese nach 1918, als die „Häuser“ nicht mehr regierten, aufzulösen (Art.155 Weimarer Verfassung). Und schließlich gab es das Privatvermögen: erworben, verliehen, geschenkt, vor allem geerbt.

Dass es dabei zu Vermischungen kommen konnte, hatte die verschiedenen Reformkräfte verständlicherweise gestört. Im 19. Jahrhundert versuchte man deshalb, diese unterschiedlichen Einkommensverhältnisse zu klären. Das war jedoch bis zum Ende der Adelsherrschaft in Deutschland 1918 nicht vollständig gelungen. Kaiser Wilhelm II. galt als Chef des Haus Hohenzollern als der reichste Mann bzw. die Hohenzollern als wohlhabendste Familie im Deutschen Reich. Es gab Meinungsverschiedenheiten darüber, was als ihr Privateigentum zu gelten habe.

Eine deutsche Besonderheit erschwerte die Regelung der Vermögensverhältnisse auf Reichsebene. Denn da gab es mangels Masse nichts zu regeln. Der „Deutsche Kaiser“, so der offizielle Titel, hatte in dieser Funktion keine Besitzungen, aus denen er alimentiert wurde. Reich war er nur als Chef des Hauses Hohenzollern, also als König von Preußen. Ebenso war es bei den anderen Landesfürsten.

Nun schaffte zwar die Revolution 1918 die Adelsherrschaft ab, nicht jedoch den Föderalismus.

Bereits am 3. Dezember 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten eine Anfrage des Arbeiter- und Soldatenrats des Freistaats Lippe unmissverständlich in dem Sinne beantwortet, dass dies „eine Rechtsfrage (sei), deren Entscheidung dem zuständigen Gericht vorbehalten bleiben“ müsse (Schüren S. 24). Man fühlte sich nicht zuständig.

Nun hatte die Weimarer Verfassung vorgegeben (Art. 155/156), dass „Sozialisierungen“ nur gegen Entschädigung vorgenommen werden konnten, ohne Rücksicht darauf, dass sich hier gänzlich unterschiedliche Begriffe von „Eigentum“ kreuzten. „Das Versäumnis der Volksbeauftragten, auch die vermögensrechtliche Seite der Staatsumwälzung von 1918 […] qua revolutionärem Machtanspruch endgültig zu lösen“, blieb nicht ohne Folgen. (Schüren S. 25)

Österreich, über Jahrhunderte dem Deutschen Reich verbunden, nutzte die Trennung zu einer geschickteren Lösung:

Die neugewählte Nationalversammlung beschloss am 3. April 1919 mit allen gegen eine Stimme das Gesetz betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, kurz Habsburgergesetz genannt. Am gleichen Tag wurde auch das Adelsaufhebungsgesetz beschlossen. Der im Ausland lebende ehemalige Träger der Krone (Karl) wurde auf Dauer des Landes verwiesen, die anderen Mitglieder „des Hauses Habsburg-Lothringen“ nur insoweit, als sie nicht auf die Zugehörigkeit „zu diesem Hause und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben“. Das in der Verwaltung des kaiserlichen Hofes gestandene bewegliche und unbewegliche Vermögen im Staatsgebiet der Republik Österreich, vergleichbar den „Staatsdomänen“ in Preußen, wurde der Staatsverwaltung unterstellt. Die so genannten Privat- und Familienfonds des Hauses Habsburg und seiner Zweiglinien, meist vom jeweiligen Oberhaupt des Hauses verwaltetes gemeinsames Familienvermögen (vergleichbar dem „Fideikommiss“), wurden enteignet und ins Staatseigentum übergeführt. Persönliches Privateigentum blieb erhalten.

Mit dem Adelsaufhebungsgesetz wurden der Adel sowie alle Adelstitel und Würden in Deutschösterreich abgeschafft. Mit §3 des Habsburgergesetzes wurde der „Gebrauch von Titeln und Ansprachen [...] verboten.“ Damit war auch der Gebrauch von und die Ansprache mit „Erzherzog/Erzherzogin“ oder „kaiserliche Hoheit“ verfassungsrechtlich nicht mehr zulässig.

Da es sich bei dem Besitz zum wenigsten um Geldvermögen handelte, kamen die ehemals regierenden Häuser vergleichsweise gut aus der Inflation 1923/24. Sie hatten deshalb auch genügend Vermögen, um vor den Gerichten zu streiten. Der Versuch der linken Parteien und der Gewerkschaften, 1926 per Volksentscheid die „entschädigungslose Enteignung“ durchzusetzen, wurde zu einer Verfassungsänderung erklärt, für die die Mehrheit der Stimmberechtigten notwendig war (vgl. im Einzelnen Schüren S.184). Diese wurde in der Abstimmung am 20. Juni 1926 nicht erreicht.

Die Propaganda gegen den Volksentscheid folgte einem Muster, dass in der Folgezeit immer wieder mit Erfolg angewandt wurde. Die Koalition gegen die Enteignung verbreitete in einer Flugschrift wenige Tage vor der Volksabstimmung (7. Juni 1926) die Parole, dass es sich dabei um den Präzendenzfall einer entschädigungslosen Enteignung handele und „zur Enteignung des Vermögens der Kirche, des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, des städtischen Hausbesitzes, der Unternehmungen der Industrie, der Banken, der Handwerker und der Arbeiter führen“ werde. (Quellenangabe bei Schüren S.172) 45 Jahre später warnte Klaus Staek mit einem Plakat bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag 1972: „Deutsche Arbeiter, die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen“. Und im aktuellen Streit um das Hohenzollerngut scheut der Münchener Historiker Michael Wolfssohn nicht, „Kritikern der Hohenzollern (vorzuwerfen), ähnlich wie die Nationalsozialisten eine ganze Familie in Sippenhaftung zu nehmen.“ (Malinowski S.605) Die Hohenzollern als „rassisch Verfolgte“? Darauf muss man erst einmal kommen.

Nach dem gescheiterten Volksentscheid im Juni 1926 erfolgten landesgesetzliche Regelungen, die auch im Ausland, vor allem in Frankreich nicht unkommentiert blieben: „Eine Regierung, die in der Lage war, den Hohenzollern 100 Millionen Mark auszuzahlen, konnte so knapp an Mitteln nicht sein und wäre wohl in der Lage, die französischen Reparationsforderungen zu erfüllen“ (S.175, Seitenangaben ohne Autor beziehen sich stets auf Malinowski). Schätzungen gehen davon aus, dass den Hohenzollern etwa drei Fünftel des Gesamtwertes der Güter, über die sie vor 1918 verfügten, zugesprochen wurde. (S.161)

Nun waren die Republikfeinde unter den „ehemals regierenden Häusern“ finanziell hinreichend ausgestattet, um die Republik wirkungsvoll parlamentarisch und außerparlamentarisch zu bekämpfen. Stefan Malinowski hatte schon in seinem, rund hundertseitigen Gutachten für die Landesregierungen Berlin und Brandenburg sowie den Bund auf die engen Verbindungen des ehemaligen Kronprinzen - und einiger Verwandter - zur nationalen Rechten im allgemeinen und Gliederungen der NSDAP, (SA und SS) im besonderen hingewiesen. In „Die Hohenzollern und die Nazis“ belegt er diesen Verbindungen detailreich und auf über 600 Seiten. Für ihn wie für die überwiegende Zahl der Historikerinnen und Historiker dient ihm diese Ausführlichkeit auch dazu aufzuzeigen, dass die erklärten Republikgegner, zu denen sich die Hohenzollern von Beginn an zählten, „dem nationalsozialistischen System […] erheblichen Vorschub“ geleistet hatten.

Nach dem Erfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 konzentrierte sich die „Vorschubleistung“ mehr und mehr auf die Partei Hitlers, die man als Partner zu gewinnen versuchte.

Ein knapper Ausschnitt:

  • Im Dezember 1931 protestierte der ehemalige Kronprinz bei von Schleicher und dem Chef der Heeresleitung von Hammerstein-Equord brieflich gegen das Uniformverbot, das die Regierung Brüning gegen die SA und alle anderen Wehrverbände erlassen hatte.
  • Wilhelm II. verweigerte seinem Sohn die Kandidatur für die Reichspräsidentschaft 1932 mit dem Argument, dann müsse er ja einen Eid auf die Republik leisten.
  • Bei der Reichspräsidentenwahl am 13.März und 10.April 1932 unterstützte Wilhelm die Kandidatur Hitlers, der jedoch gegen Hindenburg unterlag.
  • Am 14. April 1932 protestierte er bei Reichsinnenminister Wilhelm Groener gegen das am Tag zuvor ergangene Verbot der SA und SS mit den Worten: „Ich kann diesen Erlass nur als schweren Fehler bezeichnen. Es ist mir auch unverständlich, wie gerade Sie als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen helfen.“
  • Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 rief er dazu auf, für die NSDAP zu stimmen, und rühmte sich ob deren Erfolgs, er habe mit seiner Unterstützung 2 Millionen Stimmen gebracht.

Als endlich die Macht an Hitler übertragen worden war, trug er zur Stabilisierung des Systems bei, wenn auch möglicherweise in der trügerischen Hoffnung, doch noch vom „Führer“ einen Posten angetragen zu bekommen, z.B. „Reichsverweser“ (S.241ff).

Das es auch anders ging, zeigt das Haus Wittelsbach. Die Besitzungen wurden, mit wenigen Ausnahmen nach der Revolution in den „Wittelsbacher Ausgleichsfond“, der unter gemeinsamer Verwaltung des Hauses und der Staatsregierung steht, überführt. Damit wurde die öffentliche Zugänglichkeit in Sonderheit zu den Kunstschätzen und Schlössern garantiert. Aus den Einnahmen des Ausgleichsfond erhielten – und erhalten bis heute - die Mitglieder der Familie Zahlungen. Die Bayrische Volkspartei und die katholische Kirche rieten deshalb energisch und mit Erfolg von der Zustimmung zur entschädigungslosen Fürstenenteignung ab. Familienmitglieder fliehen nach Ungarn und Italien. 12 Mitglieder wurden dort 1944 festgenommen und in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau als „Promi-Häftlinge“ bis 1945 festgehalten.

 

Die Radikallösung in der SBZ/DDR

Etwa 95 Prozent der nach 1926 bei den Hohenzollern verbliebenen Besitzungen lagen nach 1945 auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone, den ehemaligen Kernlanden Preußens sowie den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie. Entsprechend groß waren nach der Vereinigung 1990 die Erwartungen, zumindest die in der ehemaligen DDR gelegenen Besitzungen zurück zu erhalten oder eine „angemessene“ Entschädigung zu bekommen. Doch mit einer großzügigen Rückgabe von Grund, Boden und Immobilien war für nach Besatzungsrecht beschlagnahmten Gütern nicht zu rechnen. Der damalige „Chef des Hauses Hohenzollern“ Louis Ferdinand Prinz von Preußen verzichtete denn auch nach einer ersten Ablehnung auf die weitere gerichtliche Verfolgung der Rückforderung von Grund und Immobilien. (S. 567)

Er hatte es persönlich auch nicht nötig, denn er ging einer erfolgreichen bürgerlichen Erwerbsarbeit nach. Er hatte nach dem Studium einige Jahre in den USA bei den Ford-Werken gearbeitet und war nach seiner Rückkehr 1935, anders als sein Vater, nicht politisch aktiv. Dank des „Prinzenerlasses“, der es ab 1940, nachdem es bei der Beerdigung des ersten Opfers, des Kaiserenkels Wilhelm Prinz von Preußen zu ungern gesehenen Sympathiekundgebungen für das Haus gekommen war, den Hohenzollernprinzen verbot, Kriegsdienst zu leisten, überstand er den 2. Weltkrieg. Nach dem Tod von Kronprinz Wilhelm 1951 war er Chef des Hauses Hohenzollern und hatte bald eine führende Position bei Ford Deutschland, war also finanziell nicht auf den ehemaligen Hohenzollernbesitz angewiesen. Zudem entwickelte sich nach dem Krieg ein Narrativ über den Widerstand des Adels gegen den Nationalsozialismus, forciert von Graf Hardenberg, dem „Manager der Hohenzollern“ (S. 551) „Und als man ihn dann wiederfand, da fand man ihm im Widerstand“ (S. 552). Georg Friedrich bezeichnete in einem Interview mit der Zeitschrift Cicero 2004 seinen Großvater als „aktives Mitglied im Widerstand gegen die NS-Diktatur“. Diese Erzählung mag mit dazu beigetragen haben, dass Georg Friedrich im weiteren Verlauf des Interviews eine Zeitungsmeldung zitiert, „wonach sich 39 Prozent der Befragten für Prinz Louis Ferdinand als Bundespräsidenten aussprachen“. Die Historikerin Karina Urbach: „Als Widerständler kann man ihn kaum bezeichnen. Er hatte Kontakt zu Widerstandsgruppen, die sehr auf ihn hofften, gab ihnen aber am Ende – auf Anweisung seines Vaters – einen Korb“ (Spiegel Geschichte vom 26.11.2019).

Interessanter als die Immobilien selbst, die seit mindestens 45 Jahren in der DDR nicht mehr im ursprünglichen Sinne benutzt und - wie nahezu alle „Altbauten“ - nicht gepflegt worden waren, deren Renovierung daher große Summen verschlingen würde, waren die beweglichen Güter, also Mobiliar und Kunstwerke, auch jene, die zur Zeit in Museen und Ausstellungen der Allgemeinheit zugänglich waren. Denn die sowjetische Besatzungsmacht hatte alles enteignet, Gebäude plus Inhalt. Dass das mit der Rückgabe der Gebäude, auch der Ländereien sehr kompliziert werden würde, dessen war man sich rasch bewusst. Aber Bilder, da konnte man richtig Geld mit machen. Der internationale Kunsthandel brachte schon in den 1980er Jahren immer neue Versteigerungsrekorde, vor allem wenn die Gemälde echt waren.

Um welche Summe es dabei gehen könnte, verdeutlicht eine Transaktion, die bereits vor der Vereinigung stattfand. 1982 kündigte Louis Ferdinand Prinz von Preußen an, dass ihm für die Berliner Variante von Antoine Watteaus „Einschiffung nach Kythera“ von einem ausländischen Interessenten 18 Mio. DM geboten worden seien. Richard von Weizsäcker, dessen Großvater Carl Hugo, von 1906 bis 1918 Ministerpräsident, Vorsitzender des Geheimen Rats und Ordenskanzler im Stammland der Hohenzollern, 1916 kurz vor dem Ende der Adelsherrschaft noch die Erhebung in den erblichen Adel gelang, rief als Berlins Regierender Bürgermeister die Bevölkerung dazu auf, 5 Mio. DM zu spenden, dann würde der Rest von Land Berlin und dem Bund dazugegeben werden. Der Prinz sei bereit, für diesen Preis zu verkaufen. Die 15 Mio. DM kamen rasch zusammen. 2012 stellte sich heraus, dass das Bild bereits 1926 von Preußen für 1,8 Mio. Reichsmark erworben worden war (SZ vom 30.1.2020). Pech für Berlin.

Dieser Vorgang macht deutlich, dass die eindeutige Festlegung - und eine Einigung -, was denn nun wirklich Privatbesitz und was auch schon 1926 bereits Staatsbesitz war, einige Zeit dauern würde. So wurde 1994 eine Ergänzung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (EALG) beschlossen, wonach zunächst verhandelt und eine gütliche Einigung versucht werden sollte, welche Werke - in Landes- oder Bundesbesitz - verbleiben oder übergehen, welche als Dauerleihgaben, aber eigentumsrechtlich den Besitzern zugehörig, öffentlich zugänglich aufbewahrt und gepflegt und welche übergeben werden sollten. Zur Verständigung wurde den Betroffenen zwanzig Jahre Zeit gelassen. Spätestens bis zum 31.12.2014 sollten dann klar sein, was wohin zu gehören habe.

Nun war und ist bis heute nicht unumstritten, wer das Vermögen des Adels denn geschaffen habe bzw. worin der Verdienst der einzelnen Familienmitglieder bestand, der ihnen zum Besitz dieser Güter verhalf.

So bezog sich Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD in der Bundestagsdebatte am 16. Januar 2016, auf Brecht, indem er die „Fragen des lesenden Arbeiters“, wer denn das „siebentorige Theben“ gebaut habe, im Fall der Hohenzollern dahingehend beantwortete, es sei schließlich Friedrich II, der Sanssouci erschaffen habe und nicht „der Maurer mit der Kelle“ (S. 595).

Die öffentlichen Hände wollten nicht alles haben. Detailgenaue Bewertungen waren durchaus sinnvoll, denn nicht nur Watteaus oder Cranachs, sondern auch „Röhrende Hirsche“ gehörten zu der 15.000 Werke umfassenden Verhandlungsmasse. Der Präsident der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Christoph Vogtherr, bezifferte den Anteil der interessanten Werke mit einem Drittel. Aus dem anderen Teil, der schon 1926 der öffentlichen Hand zum Vorkauf angeboten worden war, seien nur 16 Werke erworben, aber schlecht dokumentiert worden, unter ihnen eben auch jener Watteau. (SZ vom 30.1.2020)

Aber es war beiden Seiten klar, dass es bei dem Drittel um erhebliche Werte ging und dass diese den ehemals regierenden Fürstenhäusern zurückzugeben eine Debatte um deren „Verdienste“
auslösen würde. Zwar hatte Helmut Kohl den Wunsch Louis Ferdinands unterstützt, dass Friedrich II. neben seinen Hunden im Park von Schloss Sanssouci bei Fackelschein und mit militärischen Ehren beigesetzt wurde. Aber dass die Hohenzollern von der Vereinigung immens profitieren sollten, während die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eine zusätzliche Abgabe leisten mussten (Solidaritätszuschlag), machte deren Ansinnen nicht populärer. Zumal sie, so Vogtherr, ständig ihre Ansprüche steigerten (ebd.)

Da die DDR keine vergleichbare adelssüchtige yellow-press hatte, sich die „blühenden Landschaften“ auch nach zwei Jahrzehnten nicht überall eingestellt hatten, die „schwarze Null“ zu allgemeiner Sparsamkeit zwang, schien ein Ankauf der Kunstwerke auch wahltechnisch schwer vermittelbar. Verständlich, dass, wie auf der Webseite der Hohenzollern nachzulesen, „im Februar 2014 sich Georg Friedrich Prinz von Preußen bereit erklärt (hatte), die ihn betreffenden offenen Eigentumsfragen in Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg außergerichtlich zu regeln. Auf Vorschlag der öffentlichen Hand wurde damals Vertraulichkeit vereinbart. Georg Friedrich Prinz von Preußen betrachtet seine damalige Vertraulichkeitszusage inzwischen als Fehler. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass die Zusage nicht von allen Beteiligten erfüllt wurde“ (www.preußen.de).

Die Vertraulichkeit nutzte allerdings auch den Hohenzollern, hatte doch lange Zeit der Eindruck geherrscht, man habe auf Entschädigungsansprüche verzichtet, weil „während der 80er Jahre Louis Ferdinand von Preußen geäußert (hatte): Entschädigungsdinge sind für mich, auf gut preußisch, scheißegal. Das ist mir völlig wurscht, auch wenn ich keinen Quadratmeter von unseren großen Besitzungen wiederbekomme“ (S. 567). Man hätte genau hinhören müssen: Es ging um Quadratmeter Boden, nicht um bemalte Leinwände und Möbelstücke und andere mobile Güter.

Doch wie schon bei Grund und Boden sowie Immobilien sollte eine Rückgabe oder Entschädigung nicht an alle erfolgen. § 1Abs. 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes vom 27.9.1994 schränkte wie folgt ein:

„Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteignete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen, in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht oder dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat.“

Um möglicherweise langwierige Rechtsstreitigkeiten mit den Nachfahren von Kronprinz Wilhelm zu umgehen, ließen sich die Verwaltungen des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg auf Gespräche ein. Die Hohenzollern beauftragten 2011 den „renommiertesten Deutschland-Historiker der Welt“ Christopher Clark, der in einem weniger als 20 Seiten umfassendes Gutachten zu einer für die Familie günstigen Interpretation der Rolle des Kronprinzen kam (S. 568). Tendenz: Das politische Gewicht des Kronprinzen war eher ein Leichtgewicht. Mittlerweile hat sich Clark von diesem Gutachten wieder distanziert und sich im Wesentlichen der Auffassung seines Kollegen Malinowski angeschlossen. Das zuständige Ministerium in Potsdam wies unter Berufung auf zwei von ihm bestellte Gutachter (Stephan Malinowski und Peter Brandt) die Entschädigungsanträge 2014 zurück. Darauf reichte der nunmehrige Chef des Hauses Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam ein, nicht ohne mit einem weiteren Gutachten zu argumentieren: von Wolfram Pyta, seit 1999 Professor an der Uni Stuttgart, und Rainer Orth, Berlin. Diese kamen zu dem Ergebnis, der Kronprinz hätte Hitler gemeinsam mit von Schleicher und anderen aktiv verhindern wollen. Dann hätte er keinen „Vorschub leisten“ können. Man nennt so etwas wohl „kontrafaktische Argumentation“ oder mit Peer Steinbrück: „Hätte, hätte, Fahrradkette“.

 

„Geheimverhandlungen“

Mitte 2019 wurde das „Geheimnis“ um die Verhandlungen gelüftet. Besser: Es nahmen sich nun mehrere Pressorgane des Themas an. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtete am 13.2.2019 verwundert, dass man bisher davon ausgegangen sei, bei den Verhandlungen zwischen Staat und Hohenzollern handele es sich um Entschädigungen für enteignete Häuser und Ländereien.

Als dann Jan Böhmermann im November 2019 die Sendung „Neo Magazin Royale“ dazu nutzte, die vorliegenden vier Gutachten zu veröffentlichen, konnte endlich eine mit Fakten fundierte öffentliche Debatte darüber stattfinden, ob die Hohenzollern im allgemeinen und Kronprinz Wilhelm im besonderen dem nationalsozialistischen System „Vorschub“ geleistet hatten.

Dass eine große Zahl der Adelshäuser sowohl der Demokratie als auch der Republik als auch „Weimar“ überhaupt eher ablehnend gegenüber standen, war in der Geschichtswissenschaft unstrittig. Das hatten sie aber mit vielen Menschen in den 1920er Jahren gemein. Auch der Antisemitismus sowie die Verachtung von Kommunisten und Sozialdemokraten teilten große Teile des Adels mit dem konservativen Bürgertum und den Wählern der DNVP, der DVP und den Organisationen der nationalen Rechten. Nun fokussierte sich der Streit darauf, ob die Hohenzollern, personifiziert in Kronprinz Wilhelm, dem Nationalsozialismus in erkennbarer Weise „Vorschub geleistet“ und davon ggfls. profitiert hatten.

Aber hatten nicht andere - Krupp, Thyssen, Flick - noch sichtbarer und gewinnbringender profitiert? Und waren nicht viele von ihnen nach 1945 wieder in die bundesdeutschen Führungsetagen aufgestiegen? Unstrittig. Zunächst hatten die Siegermächte in Nürnberg die Abrechnung an sich gezogen, aus Misstrauen gegenüber der vorgefundenen deutschen Justiz. Als dann ab 1949 die rechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen wieder der deutschen Justiz übertragen worden war, verhinderte der „Kalte Krieg“ und der lange Zeit viele Nazi-Verbrechen überschattende Antikommunismus die Auseinandersetzung mit der fortwirkenden nationalsozialistischen Ideologie und schützte ihre Trägerinnen und Träger: Rassismus gegenüber Roma und Sinti feierte sich in Urteilen des Bundesgerichtshofs, dessen Richter aus der Zeit als Reichsgerichtsangehörige nichts vergessen hatten. Frauen blieben auf ihre Hausfrauentätigkeit reduziert, wenn ihre Ehemänner es wollten. Die Prügelstrafe galt für Kinder der „Unterschichten“ (Volksschüler) als angemessenes Strafmittel. Das tribalistische Denken setzte sich fort: Deutscher durfte nur sein, wer deutschen Blutes war. Wenn eine deutsche Frau einen Staatenlosen heiratete, verlor sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Alles wie früher! Vergessen kann so schön sein!

Die Vereinigung 1990 brachte manches wieder hoch, was in der BRD verdrängt, in der DDR aber im Geschichts- und Staatsbürgerkunde-Unterricht gelehrt worden war. Worüber in der BRD mit den Jahren hinweggesehen worden war, - die Aufarbeitung der Vergangenheit der besonders belasteten Ministerien, Ämter und Gerichte begann erst, als die ehemaligen NSDAP-Mitglieder in den Führungspositionen bereits pensioniert waren - nun sollte es hervorgeholt werden. Nicht um den bürgerlichen und adeligen Antisemitismus zu decouvrieren oder die Nähe des Gedankenguts der „konservativen Revolution“, die Dobrindt für die CSU 2017 wiederbelebte, mit der NS-Ideologie deutlich zu machen und zu versuchen, den Anfängen zu wehren.

Das Interesse war rein ökonomischer Natur: Es sollte möglichst viel öffentlich zugänglich bleiben, aber zu erschwinglichen Preisen. Es ist durchaus glaubhaft, wenn Georg Friedrich Prinz von Preußen darauf hinweist, dass die Vertraulichkeit der Entschädigungsverhandlungen von Seiten der Länder erbeten worden war.

Als 2019 die „Geheimverhandlungen“ öffentlich und die Gutachten publiziert wurden, brachen Bund und Länder die Verhandlungen ab, um den Gerichten die Entscheidung zu überlassen. 2020 lenkte Brandenburg ein und bat um Verlängerung der Verhandlungszeit um ein Jahr. 2021 wurde erneut abgebrochen. Im Januar 2022 bekräftigte Georg Friedrich Prinz von Preußen seine Anregung, in einer Ausstellung unter der Verantwortung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Schloß Cecilienhof die Verstrickungen seiner Vorfahren in den Nationalsozialismus zu zeigen. Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) bezeichnete den Ausstellungsvorschlag als „durchaus reizvoll“ (Tagesspiegel vom 8. Jan. 2022).

Auf die Arbeit von Stephan Malinowski trifft auch die an anderer Stelle erfolgte Bilanzierung der Kontroverse durch den jeden Linksdralls unverdächtige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching, zu: „Die heutigen Ansprüche der Hohenzollern für rechtskonform zu halten, wird künftig jedem Gericht schwerfallen; sie historisch-politisch zu untermauern, ist unmöglich“ (SZ vom 29.11.2021)

 

Literatur:

  • Sophie Schönberger: Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie, München 2021, 158 Seiten,
  • Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, Düsseldorf 1978, 328 Seiten